13.07.2017   

Die Staatsratseingabe

Autor: Karl - Heinz Schwoch

Aufgestauter Bürgerzorn und die Hoffnung auf Abhilfe
Eine Gruppe von 35 Dorfbewohnern aus Altranft, am Dorfanger, sah sich mit ihrem Problem von den örtlichen Behörden allein gelassen. Mir ist nicht bekannt, dass es außer dieser nun geschilderten Staatsratseingabe weitere Eingaben an den Staatsrat durch unsere Dorfbewohner gab. Da dieses Dokument in dieser Form und Sache einmalig ist, möchte ich es zur Dorfentwicklung, der Dorfgeschichte zurechnen.
Dazu ein kleiner geschichtlicher Rückblick.
Nach dem Tode des Präsidenten der DDR wurde kein Präsident mehr gewählt. Es wurde ein Staatsrat gebildet. Dieser Staatsrat setzte sich aus den Vorsitzenden der damals vorhandenen Parteien und den Leitern von großen gesellschaftlichen Gremien zusammen. Der Staatsrat war das höchste bestimmende Organ im Staat.
Es gab damals ein Gesetz, in dem das Recht auf Eingaben einen hohen Stellenwert hatte. Heute gibt es den Petitionsausschuss im Bundestag.
Damals wie heute wird diese Möglichkeit von Bürgern genutzt um Hilfe von "Oben", von der Regierung, zu erhalten, weil die örtlichen Organe versagen oder untätig bleiben oder die Bürger bringen ihren Unmut über Alltagsprobleme zum Ausdruck. Es ist auch eine Form der Suche nach Abhilfe und der Stimme des Volkes, die kritisch prüft; so war es auch in der DDR. 1984 gab es zum Beispiel 62000 schriftliche oder mündliche Eingaben an den Staatsrat. Gegenüber 1983 waren das 46 Prozent mehr Eingaben. In diese Zeit fällt auch die nun kurz geschilderte Eingabe.

Es ging um die Dorfstraße am Anger in Altranft. Diese Dorfstraße war zu dieser Zeit eine der schlechtesten aber am häufigsten befahrenen Straßen im Dorf. Andere wichtige Straßen im Dorf waren schon recht ordentlich befestigt. Bitumen und Betonplatten sowie Kopfsteinpflaster, zum Beispiel in der Schlossstraße, ermöglichten eine gute Befahrbarkeit zur Freude der Anwohner, denn es entstanden keine Staubwolken.Die ca. 500 m lange Dorfstaße wurde mit Hilfe der LPG, der Gemeindeverwaltung und der Anwohner provisorisch befestigt. Es wurde Drähnrohrbruch gelegt und festgefahren. Es entstand eine relativ feste befahrbare Straßendecke.
Mit den Jahren zeigten sich aber starke Gebrauchsspuren. Schlaglöcher entstanden. An eine ordentlich befestigte Straße war aber nicht zu dieser Zeit zu rechnen. Einmal fehlte es an geeigneten Materialien, an Baukapazitäten oder am Geld. Es fehlte aber auch am gutn Willen und Einsicht. Hinweise auf noch vorhandene Materialien, wie Betonplatten und Bitumen aus der vorangegangenen Straßensanierung fanden kein Gehör.
Das Freilichtmuseum Altranft hatte zu diesem Zeitpunkt 1980 - 1985 unterstützt durch den Rat des Kreises eigene Interessen und Vorstellungen, wie ein Dorf und seine Straßen und Wege auszusehen haben. Unter Federführung des Museums wurde die Dorfstraße mit Steinmehl überzogen. Die Schlaglöcher waren überdeckt. Ein großes Problem tat sich neu auf. Jedes Fahrzeug, was dort entlang fuhr, zog eine riesige Staubwolke hinter sich. 30 Haushalte mit ca. 100 Bewohnern und der Kindergarten mit 65 Kindern waren die Leidtragenden. Der Ruf nach Abhilfe war unüberhörbar. Kommunale Aktivitäten hatten keinen Erfolg. Seitens des Museums wurden machbare Vorschläge ignoriert.
Der Entschluss, eine Staatsratseingabe zu machen, wurde von allen Anliegern der Dorfstraße unterstützt.

Eine Staatsratseingabe wurde formuliert und an den Staatsrat der DDR per Post gesandt.
Nun erfolgte ein reger Schriftverkehr. Der Staatsrat, der Rat des Bezirkes und der Rat des Kreises antworteten. Mit jedem Schreiben kamen viele sozialistische Grüße. Besichtigungen vor Ort und Beratungen wurden durchgeführt. Verantwortlichkeiten wurden festgelegt.
Wer nun aber denkt es gab eine Veränderung, der wird enttäuscht. Ignoranz und auch staatliches Unvermögen siegten.
Nach der ersten Eingabe vom 03.10.1984, ohne Wirkung und ernsthafte Beachtung, entschloss man sich zu einer nochmaligen Staatsratseingabe am 15.02.1986 in der HOffnung, nun ein zufriedenstellendes Ergebnis zu bekommen.
2 Staatsratseingaben für diese Sache waren erforderlich. Diese Eingaben zeugen vom Mut der Verzweiflung und der Entschlossenheit der betroffenen Anwohner. Ein erbärmliches Versagen der zuständigen staatlichen Behörden und verantwortlichen Mitarbeiter.
Ja, 1986 erhielt die Dorfstraße eine Bitumendecke.
Die Weiterentwicklung des Dorfmuseums schritt voran. Die so langwierig und mühsam erstrittene Schwarzdecke auf der Dorfstaße ist längst abgetragen. Eine schmale, aus Sammelsteinen - Kopfsteinpflaster - ersetzt nun die alte Dorfstraße. Da sie nicht die notwendige Breite hat, ist die nun neue Straße zur Einbahnstraße degratiert. Leider hat man den Streckenverlauf verändert. Die Ursprünglichkeit ist verändert, man kann aber damit leben. Sehr kritikwürdig sind die Planung der Straße und die ganz sicher fehlende Kontrolle in der Bauphase. Erst nach Fertigstellung bemerkte man, dass der historische Charakter der Schlossumzäunung verloren gegangen war.
Hier nun wieder der kritische Blick in die Historie. Ein Rückbau und somit der Wegfall notwendiger Parkplätze waren die Folgen. Über die Kosten dieser Maßnahme ist nichts bekannt, auch nicht wer das bezahlt hat, sicher wie immer der Steuerzahler.

Lieber Leser,
bereits im Buch über die "Geschichte eines Dorfes" wird die Zusammenarbeit des Museums - ihrer Leitung - mit den Vereinen unseres Dorfes kritisch angesprochen. Die fehlende Zusammenarbeit geht bis in die 80er Jahre. Im Inhalt der Eingaben ist das zu erkennen. Es wäre an der Zeit, dass in der Museumsleitung ein Umdenken stattfindet. Ein Museum kann nur noch besser werden, wenn verstanden wird mit den Einwohnern und ihren Vereinen eng zusammen zu arbeiten.

Der gesamte Schriftverkehr der Staatsrateingabe wurde mir von Herrn Georg Lehmann zur Verfügung gestellt. Ich danke Herrn Lehmann dafür.

Überarbeitet und aufgeschrieben am 01.04.2013 vom Ortschronisten KH Schwoch.

Anlage:
Staatsratseingabe 1
Antwortschreiben der staatlichen Organe
Staatsratseingabe 2
Antwortschreiben der staatlichen Organe

Herr Georg Lehmann ist im Alter von 92 Jahren am 01.01.2017 verstorben.

 
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