11.10.2015   

Freilichtmuseum Altranft - 10. Deutsch - Polnischer Wettbewerb im Historischen Kochen 2015

Geschichte der Schlachtefeste
von Dr. Hans-Jürgen Rach

Der heute noch relativ oft verwendete Begriff „Schlachtefest“ ist eine Schöpfung jener Großstadt-Bürger, die mit rosaroter Brille auf die Dörfer schauen, aber vom ländlichen Alltags- und Festtagsleben wenig oder gar keine Ahnung haben. Für die Dorfbewohner war früher das Schlachten ein Höhepunkt im Jahreslauf. Als Fest wurde es jedoch nie empfunden, und so hieß im allgemeinen Sprachgebrauch dementsprechend lediglich „bei dem oder dem wird geschlachtet“ bzw. auf den eigenen Hof bezogen „dann oder dann haben wir Schlachten“.
Wenn heute im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Historisches Kochen“ ein Schlachtefest nachgestaltet wird, dann ist dies nur sinnvoll, wenn auch die jeweiligen historischen Bedingungen vorgestellt werden. Dazu gehören genaue Angaben zu den dargestellten sozialen Verhältnissen.
So muss gesagt werden, ob es sich um einen Gutsbetrieb, eine groß- oder eine kleinbäuerliche Wirtschaft oder gar um einen proletarischen Haushalt handelt. Ferner muss verdeutlicht werden, zu welcher Zeit die Schlachtung vorgenommen wird, ob dies noch unter feudalen Verhältnissen, also im 17./18. Jahrhundert, oder nach der bürgerlichen Bauernbefreiung, also im 19. Jahrhundert, oder zu DDR-Zeiten stattfindet. Am bekanntesten sind wohl die Praktiken der letzten 150 Jahre. Darum sein zwei Beispiele jener Zeit aus der ostbrandenburgischen Region hier vorgestellt: 1. das Schlachten auf einem mittel- bäuerlichen Hof um 1880 und 2. das Schlachten auf dem Grundstück eines außerhalb des Wohnortes arbeitenden Dorfbewohners um 1980.
Auf jedem bäuerlichen Hof der Mark Brandenburg gab es im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von Tieren. Neben den Pferden als Zugtiere waren es Kühe und Ziegen für die Milchwirtschaft, aber immer noch auch einige Schafe als Woll-Lieferanten und natürlich Hühner vorrangig für die Versorgung mit Eiern. Hinzu kamen nicht selten Bienen, deren Honig damals noch ein wichtiges Süßungsmittel bildete. Eine besondere Bedeutung aber hatten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Schweine erlangt, die seitdem anstelle der Haltung in Wald und Flur nun in speziellen Ställen gehalten und gefüttert wurden. Dadurch konnte das Schlachtgewicht relativ schnell von 40 auf 70 kg gesteigert werden. Unter Einbeziehung der Zuchterfolge gelang es dann in der Folgezeit bis 1900 in ganz Deutschland das Mastgewicht sogar auf 100 kg zu erhöhen. Um 1880 gab es aber nur in den wenigsten brandenburgischen Dörfern einen Fleischer. Das Schlachten übernahmen hier zumeist die Maurer oder andere Bauhandwerker, die in der Winterzeit keine Arbeit bekamen. Da das Schlachten mindestens einen ganzen Tag dauerte, ging diese Aktivität innerhalb des Ortes „reihum“. Die nötigen Gerätschaften besaß der Bauer zumeist selbst. Sie mussten gereinigt bereit stehen, ebenso die gewünschten Gewürze, die entweder aus dem eigenen Garten stammten, wie Majoran, oder beim Kolonialwarenhändler gekauft werden mussten, wie Pfeffer und Salz. Die Arbeit begann stets in aller Frühe. An ihr beteiligten sich alle auf dem Bauernhof lebenden Personen sowie die Verwandten und mehrere Nachbarn, zumeist auch die Kinder.
Das Schwein wurde zunächst mit Stricken um die Vorderfüße herausgezogen und dann getötet. Als erstes wurde das Blut abgelassen und sorgfältig aufgefangen. Dann kam es in die „Schlachtemolle“, eine zumeist mit einem Dexel aus einem halben Baumstamm herausgehauene Wanne, um es dort mit kochendem Wasser abzubrühen und mit der sogenannten Glocke abzuschaben. Anschließend wurde das Schwein an einer Leiter oder einem Schlachtebaum aufgehängt und zerlegt. In Anbetracht des zumeist kalten und ungemütlichen Wetters entstand folgender Spruch: „Wenn das Schwein am Haken hängt, wird der erste eingeschenkt“. Das zerstückelte Fleisch kam in einen großen Kupferkessel zum Kochen. Sobald das Fleisch gar war, begann das Wurstmachen. Es erfolgte auf bereitstehenden Tischen und einem „Hackblock“, einer massiven, auf einem Dreibein ruhenden Eichenscheibe von etwa einem Meter Durchmesser. Hier wurde das Fleisch mit Hack- und Wiegemessern zur Wurstmasse verarbeitet. Zwiebeln, die manchen Wurstsorten hinzugefügt wurden, waren zuvor gekocht und durch eine Zwiebelpresse gedrückt worden, um sie dann mit der Wurstmasse zu vermischen, bevor sie in die Därme gestopft wurden. Dafür verwendete man ursprünglich Ringe, die aus einem Ochsen- oder Kuhhorn vom Bauern selbst hergestellt worden waren. Später kamen brillenartige Wurstbügel aus Messing oder Eisen hinzu, nach 1900 auch Wurststopfmaschinen, die aber vorrangig nur von den professionellen Fleischern und auf den großen Gütern genutzt wurden. Vorher muss sich der Metzger die Därme für die Wurst kümmern die gewendet, gereinigt, von der Muskelschicht und der Schleimhaut befreit und gebrüht werden müssen. Von einem Schwein gewinnt man ca. 25 m Wursthülle.
Unter den verschiedenen Wurstsorten sind heute noch bekannt: die Fleischwurst (mit Gewürzkräutern, aber ohne sonstige Zusätze), die Knackwurst (mit Grütze vermengt), die Leberwurst (mit gehacktem Fleisch und ebenfalls gehackter Leber) und die Rotwurst aus Blut (mit Mehl oder Grütze und manchmal auch Stückchen von gekochtem Speck). Eine Besonderheit war die Brägenwurst, bestehend aus einem Gemenge von Fleisch, Fett und Zwiebeln und Gehirn (Brägen). Das Wurstkochen im großen Kessel war Aufgabe der Hausmutter. Die Kontrolle, ob die Wurst gar ist, übernahm aber der verantwortliche Schlächter. Sobald dies entschieden wurde, breitete man die Würste zum Abkühlen auf eine Strohschicht aus, bevor man sie am nächsten Tag zum Räuchern aufhängte. Das übriggebliebene Blut wurde mit Mehl, Fleischresten und Bratobst zu „Schwarzauer“ zusammengekocht. Es war dies ein sehr geschätztes, besonders kräftiges Abendgericht, zudem auch immer mal ein Schnaps gereicht wurde. Abgesehen von den zu Wurst verwendeten Fleischstücken mussten auch alle anderen Teile für die Zukunft präpariert werden. Während Speck und Schinken zum Trocknen bzw. Räuchern aufgehängt werden mussten, kamen die anderen Stücke in das mit Salzlake gefüllte Pökelfaß, da es noch keine Weckgläser oder Kühltruhen gab, und über Eiskeller nur die Güter verfügten. Das Fett im Kessel, in dem die Würste gekocht worden waren, füllte die Hausfrau in einen Steintopf, in dem es bald zu Schmalz erstarrte. Durch die verschiedenen Gewürze, die den Würsten zugesetzt worden waren, erhielt es einen besonders reizvollen Geschmack, ebenso wie die sog. Wurstsuppe, die aus der verbliebenen Brühe bereitet wurde. Die frische Blut- und die Leberwurst gab es als Kostprobe an die Nachbarn, wie auch die besonders beliebte Wurstsuppe. Vielleicht hat sich aus diesem Brauch das von den Gaststätten häufig angepriesene Schlachteplatten-Essen entwickelt. Trotz vieler Gemeinsamkeiten waren gegen Ende der DDR-Zeit etliche Unterschiede zu beobachten. So wurden Schweine nur noch selten in den bäuerlichen Einzelhöfen gehalten, vielmehr in den großen Stallanlagen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften oder der volkseigenen Gütern. Stattdessen kam hinzu, dass viele nicht in der Landwirtschaft Beschäftigte, aber im Dorf Wohnende sich ein Schwein hielten, das zum Jahresende entweder verkauft oder eben auf dem eigenen Grundstück geschlachtet wurde. Das bereits am 5. Juni 1900 in Kraft getretene Gesetz, betreffend Schlachtvieh- und Fleischbeschau, galt im Prinzip immer noch, was zur Folge hatte, dass das geschlachtete Schwein von einem Fachmann bezüglich Trichinenbefall oder anderen Krankheitserregern überprüft werden musste. Aus Hygienegründen übernahm die anschließende Verarbeitung in den meisten Fällen ein Fleischer, der jedoch stets vom Eigentümer und dessen Freunden unterstützt wurde.
Anstelle der hölzernen Schlachtemolle kam nun eine Wanne aus Zinkblech zum Einsatz. Auch die anderen Gerätschaften waren nicht mehr aus Holz, sondern aus Stahl oder Emaille. Die Arbeitsgänge blieben jedoch zumeist in der überlieferten Form erhalten: Nach dem Abstechen wurde das Schwein mit den Beinen nach oben an einen eisernen Haken gehängt und das Blut abgezapft. Dann wurde das Schwein über einen Trog gezogen, gebrüht und die Borsten abgeschabt. Gleichzeitig musste das gewonnene Blut in einem Steintopf gerührt werden, um das Gerinnen zu verhindern. Das in Stücke geschnittene Fleisch kam dann in den Kessel und wurde gekocht. Die üblichen Wurstsorten waren weiterhin Blut-, Grütz- und Leberwurst, wobei die überlieferten Rezepte, d.h. die unterschiedliche Beigabe der Gewürze wie Majoran, Piment, Pfeffer und Salz, geheim gehalten wurden. Nachdem das gute Fleisch dem Kessel entnommen und dieser erneut gereinigt worden war, kam in das heiße Wasser nun das Kochfleisch wie Bauch und Seitenteile, aber auch Kopf und dergleichen. Anschließend wurde es zerkleinert, z.B. durch den Wolf gedreht und in die Därme gestopft.
Nachdem in den ersten Nachkriegsjahren das Einlegen in ein hölzernes Pökelfaß noch üblich war, kam danach immer mehr der Wecktopf in Mode, wodurch sowohl die Wurst als auch bestimmtes Fleisch langzeitig, ohne die schwer zu bekommenden Därme, konserviert werden konnte. Erst in den letzten DDR-Jahren kamen dann die Kühltruhen hinzu. Der Brauch, den Nachbarn außer der Wurstsuppe ein paar Kostproben der frischen Wurst zu überbringen, blieb jedoch erhalten. Ebenso das Festessen, dass der Besitzer dem Schlächter und allen Helfern bereiten musste, einschließlich des Schnapses zum Aufwärmen und zur besseren Verdauung.

 
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